Kunst ist das Vermögen, die aus der Vorstellung geborene
Vision
zu verwirklichen und sichtbar zu machen.
Normunds Brasliņš
Normunds Brasliņš hat, seiner künstlerischen Empfindung folgend, in jenem Bereich der Kunst festen Fuss gefasst, wo die überzeitliche klassische Tradition mit universellen Werten, idealer Schönheit, Harmonie, Perfektion und Sehnsucht nach einem „goldenen Zeitalter” ihre Herrschaft hat. Treu den klassischen Kunstgattungen und traditionellen Themen, Figuralismus und handwerklicher Fertigkeit, verknüpft seine Kunst die Neigung zum Erbe der Vergangenheit mit dem Suchen nach der Reinheit der Form und dem Streben, die klassizisierte Bildsprache zu vergegenwärtigen.
Der Künstler hat seinen individuellen Stil im selbstständigen Studium der Alten Meister nachhaltig entwickelt. Darüber hinaus wird die eigene Erfahrung auf dem Gebiet der Schwarzweißfotografie und Fotositzungen mit Modellen für die Erforschung der sichtbaren Wirklichkeit kreativ bearbeitet. Sein Hauptinteresse in der Aufnahme und Verarbeitung der in der „Museumskunst“ gefundenen Vorbilder gilt den Meister der Frührenaissance, deren Kunst ein verwandtes Formgefühl, geistige Intensität und Fachverstand aufweist. Ähnlich wie die Künstler der Renaissance und des Klassizismus, befasst sich Brasliņš mit der Darstellung des Menschen.
Die Bestrebungen des Künstlers nach kompositioneller Deutlichkeit, Linearismus und verallgemeinerten Formstilisierung vereinigen sich in einem Kult der klaren Plastik. Zudem zeigt er eine besondere Vorliebe für die Farbnuancierung und Materialität in der Wiedergabe des Menschenkörpers. Eine rationale, mathematische Gestaltung, durchkalkulierte Proportionen und rhythmische Organisation in der Behandlung seiner zugleich komplizierten und lakonischen Kompositionen wirkt mit einer verfeinerten Sinnlichkeit, Ornamentalismus und Dekorativismus zusammen. Die Bildtitel weisen häufig auf eine bewusste Verbindung mit dem mythologischen und biblischen Themenkreis hin.
Die dominierende Hauptgestalt in Gemälden und Zeichnungen von Normunds Brasliņš ist die idealisierte junge Frau als bedeutungsvolle Verkörperung der harmonisierten und ästhetisierten künstlerischen Form. Obwohl der Künstler auch Porträts, Stillleben und vormals sogar Landschaften gemalt hat, gerade die unaufhörlich variierten Frauenakte in lyrischen und harmonischen Stimmungen prägen die Eigenart seines Schaffens im Zusammenklang mit den in der klassischen Antike verwurzelten Renaissance-Vorstellungen von der Schönheit des menschlichen Körpers. Des öfteren sind die Bilder von einer dionysisch hedonistischen Atmosphäre der Lebenslust erfüllt, womit die Darstellung der Weinbecher und anderer passenden Elementen verbunden ist.
Die verallgemeinerten Menschengestalten sind aus dem fotografisch festgehaltenen Bildmaterial synthesiert, das im Studium der Bewegungen, Stellungen und Gestik, als auch einzelner nah betrachteten Körperdetails aus verschiedenen Blickpunkten gesammelt worden ist. Verallgemeinerung und Idealisation zerstört nicht die Porträtähnlichkeit und Eigenart der wirklichen Bildmodelle, die erkennbar bleiben. Auf diese Weise werden die Familienmitglieder, oftmals die Frau und die Tochter des Künstlers malerisch dargestellt, manchmal auch seine Malerkollegen, die in einigen großangelegten Gruppenbildern wiedergegeben sind. Die vom Künstler geliebten Profilporträts und ganzfigürlichen Akte lehnen sich an die Tradition der Frührenaissance an.
In der künstlerischen Handschrift von Normunds Brasliņš hat der Maler immer mit dem Zeichner rivalisiert und zusammengewirkt. Seine andauernde kunstakademische Lehrtätigkeit hat ihm tagtäglich geholfen, eine vollkommene Meisterschaft in der Zeichnung zu erreichen, und ihn zu einer zunehmend klaren, klassizisierten und vereinfachten Ausdrucksweise gebracht. Die malerische Expression der früheren Arbeiten hat das Feld für die jetzige Stilistik geräumt. In den neuesten Gemälden haben die typischen Frauengestalten einen intensiven einfarbigen, das Zeit- und Raumgefühl zerstreuenden Hintergrund, der aber nicht mehr in einem überweltlichen Goldschimmer leuchtet. Vormals hat der Künstler häufig auch abstrahierte, ornamental gestaltete und farbenstarke, mit dem Spachtel reich fakturierte Hintergründe verwendet. Der Glanz des intensiven Blau und Rot oder die Tiefe des Weiß und Schwarz rufen eine irreale Raumwirkung hervor, die die Plastik und Silhouettierung der Figuren betont, wodurch eine metaphysische Spannung in Beziehungen der dargestellten Menschenkörper mit ihrer irrationalen Umgebung entsteht.
Normunds Brasliņš experimentiert mit Materialien und Techniken, oftmals hat er auch die Rahmen für seine Bilder und Zeichnungen selbst entworfen. Seine besonders originellen großformatigen, in einer freien Künstlertechnik auf technischem Zeichenpapier ausgeführten Zeichnungen wirken wie in Linienführung und Tongebung verfeinerte Arbeiten auf altem Pergament. Die Bewegung einer geschmeidigen und ausdrucksvollen Linie wird von Tuschelavierungen und -lasierungen entweder betont oder verwischt; die virtuos gezeichneten Figuren in Lebensgröße wirken mit erlesenen Details und einem abstrakten Hintergrund zusammen.
Der Künstler findet, dass seine Hand gerade beim Zeichnen sein Gedankengang am schnellsten verfolgen kann, um das Vorstellungsbild unmittelbar sichtbar zu machen. Das Malen im Sinne der Alten Meister ist ein im Vergleich viel langsamer und arbeitsaufwendiger Vorgang, aber die ganze Energieanwendung in Malerei wie in Zeichnung sublimiert sich letztendlich im künstlerischen Ergebnis.
Die im Katalog vorgestellten Arbeiten zeigen eine vom Künstler selbst getroffene Auswahl, die u. a. einen retrospektiven Rückblick erlaubt und in ihrer ganzen Zusammenstellung die „altmeisterliche“ Position, Überzeugung und Folgerichtigkeit seines Schaffens am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts bezeugt.
Art is the ability to visualize and materialize a vision conceived by the imagination.
Normunds Brasliņš
Following his artistic feeling, Normunds Brasliņš has established himself in a “territory” of art ruled by a timeless classical tradition – universal values, ideal beauty, harmony and perfection, a longing for a “golden age”. While remaining faithful to classical genres and traditional themes, figuralism and the integrity of craft, his art combines a preference for past heritage with the search for pure form and a desire to contemporize the classical mode of expression.
The author has polished his individual style in constant studies of the old masters, while also analyzing visual reality by a creative use of his experience in black-and-white photography and photo sessions with models. In the assimilation and recreation of impressions acquired in “museum art”, he has mostly been attracted by masters of the Early Renaissance, finding a similar sense of form, spiritual saturation and understanding of craft in their works. As in the art of the Renaissance and Classicism, Normunds Brasliņš is interested in the human figure.
The artist is concerned with compositional clarity, linearity and a generalized stylization of volume united in a cult of pure form, and he is particularly captivated by the nuance of color and materiality in the depiction of skin. Both in complicated and laconic compositions, a rationally construed mathematical approach, calculated proportions and organized rhythm coexist with a delicate sensuality, ornamentalism and a decorative manner. Occasionally, the titles of the works have a deliberate relation to mythological or biblical motives.
The paintings and drawings of Normunds Brasliņš are dominated by the ideal image of a young woman, indicative of his tendency toward a harmonized and estheticized form of art. Although he has painted portraits, still lifes and, at the time, even landscapes, it is the lyrical, harmonious female nude repeating itself in countless variations that creates the author's individual and recognizable style, echoing the idea of the beauty of human body that the Renaissance inherited from Antiquity. Often a Dionysian atmosphere of celebration and enjoyment of life pervades his work, with goblets of wine as its attributes.
The generalized figures have been synthesized from visual material captured in photography, accumulated in the studies of various angles, movement, poses and gestures, as well as close-ups of individual details. The generalization and idealization do not erase the individuality and visual likeness of the actual models which remain recognizable. He has painted family members, often his wife and daughter, and occasionally his fellow artists, portraying them in several large multi-figure compositions. A reference to Early Renaissance tradition can be seen in the profile portraits and full-figure nudes particularly favored by the artist.
In the artistic hand of Normunds Brasliņš the painter has always competed and interacted with the draughtsman. His daily experience as a teacher in academic instruction has lead him to perfecting the mastery of drawing, while also determining and classicizing his mode of expression, making it more laconic. The artistic expressivity of his earlier works has receded before his current style. In recent paintings, the former otherworldly gold is replaced by an intense monochromatic background that envelops the characteristic female figures, dispelling all sense of time and space. In the past, abstract ornamental backgrounds of vibrant colors, shaped in relief by a palette knife were also often used. The surreal sense of spatiality created by the brilliance of a vivid blue or red, the depth of white or black accentuates the figures, emphasizes their volumes and silhouettes, endowing the relation between the depicted bodies and their irrational environment with metaphysical tension.
Normunds Brasliņš is captivated by experiments with materials and techniques, he has also often designed frames for his works. His large scale drawings are particularly original; done on paper in the author's own technique, they seem like compositions of tonal and linear perfection, drawn on ancient parchment. Their supple, expressive flow of line is emphasized or subdued by ink wash, masterfully drawn life-size figures interact with meticulous details and an abstract background.
The artist considers that, in drawing, his hand is able to follow his thought more quickly, at once visualizing what he imagines. Painting in the manner of the “old masters' school” is a lengthier and more laborious process, yet in painting, as in drawing, the energy consumed is sublimated in the achieved result.
The works included in the catalogue have been subjectively selected by the author,
they constitute a retrospect and illustrate his orientation toward the “old masters”, his conviction and the consistency of his creative development at the end of the 20th and the
beginning of the 21st century.