Museum Villa Haiss
Am Park 1
77736 Zell am Harmersbach
Öffnungszeiten:
Fr – So
14 – 18 Uhr
1955 geboren in
Svecel-Podujeve
1977-81 Akademie Pristina
1983-84 Kunstakademie Belgrad
Ymer Shaqiri lebt und arbeitet in Brühl bei Mannheim
Zeitspuren - Holz gegenwärtig
Holz hat Ymer Shaqiri schon in seiner Kindheit fasziniert, besonders altes Holz, das Gebrauchsspuren aufweist: Bretter, Türen, Fenster - Holz mit rostigen Drähten, krummen Nägeln. Das Loch in der Hose mit Draht flicken, die Baumrinde einritzen, Spuren hinterlassen, das sind Kindheitserinnerungen des Künstlers. Shaqiri ist im Kosovo in Prishtine aufgewachsen. Nach dem Dienst in der Armee studierte er Grafik zunächst in Prishtine, später an der Akademie in Belgrad. Danach arbeitete er viele Jahre im Kunstverein Prishtine. Als der Druck des politischen Regimes auf den Künstler unerträglich und die Arbeit im Kunstverein unmöglich wird, verlässt er 1996 seine Heimat und lebt seither in der Nähe von Mannheim. Shaqiris künstlerisches Werk beruht prägnant auf den Kindheitserinnerungen. Sie bilden ein tiefes Fundament. Die Erinnerungen selbst sind dabei nicht das Thema seiner Arbeiten, sie sind der Treibstoff des Tuns, eine Grundbedingung.
Ein Schwerpunkt Shaqiris liegt auf den Nagel- und Ritzbildern aus den vergangenen Jahren, die als eine geschlossene Werkgruppe aufgefasst werden können. Shaqiri trägt solange Schicht um Schicht Acrylfarbe auf, bis eine Platte von mehreren Millimetern Stärke entstanden ist. Die Platte muss mindestens ein halbes Jahr trocknen, bevor sie weiterbearbeitet werden kann. Er erzeugt mit der Schichtung eine tiefgründige Räumlichkeit. Das Einritzen mittels Graphikfedern, im Besonderen Kaltnadelfedern, verleiht der Platte ihre eigene Maserung, als wär’s ein echtes Stück Holz.
Auf den Nagelbildern sind die Sujets eindeutig. Rostige Nägel, gebogene Nägel, lange und kurze, Nägel zur Auswahl aufgereiht, Drahtstücke, Drahtringe, Holz pur, nie ein ganzes Brett, immer nur ein Ausschnitt, ein Stück. Gemalt und gemacht, als wär’s echt. Doch von wirklichkeitstreuer Abbildung zu sprechen, würde der Sache nicht gerecht. Eher ist es so, als nähme das Farbobjekt selbst hölzerne Qualität an. Die Farbe verschwindet hinter der Materialität von Darstellung und Machart, wird nicht mehr als Farbe wahrgenommen. Es findet eine Verwandlung statt, welche die Wahrnehmung intensiviert.
Die Nägel scheinen in das vermeintliche Holz hineingetrieben, die Drähte locker oben aufgelegt, das Verhältnis von Tiefgründigkeit und Oberfläche wird durch Schattenlinien, die keineswegs genau stimmen müssen, besonders hervorgehoben. Plastizität ist für die Arbeiten wesentlich. Licht spielt nicht in direkter Weise eine Rolle, es ist beiläufig vorhanden, die oberste Schicht enthält oft Weiß, das vorhandene Licht wird reflektiert, als käme es von innen heraus. Dort, wo die bräunlichen Töne durchschimmern, scheint das Licht aufgesaugt zu werden, eine Folge der Farbwahl und Schichtungen.
Gelegentlich fügt Shaqiri den Objekten einen Hauch von Rot hinzu, und man weiß nicht, ob es das Rot der Verletzung ist, oder das Rot des Lebens, das Rot, das dem Alten einen Hauch Lebendigkeit verleiht. Zugleich geht etwas Bedrückendes und Schweres von diesen Objekt-Bildern aus. Verschlossen, eingesperrt und gefesselt sein sind unweigerliche Assoziationen, die sich über die Assoziation von Handwerk und Material hinaus einstellen.
Während in den Nagelbildern klare Formen, Rechteck, Quadrat und Kreis, Bild bestimmend sind, leben die Ritzbilder von der freien Zeichnung. Die Feder hinterlässt ihre Spuren unwillkürlicher. Die Nagelbilder vermitteln im übertragenen Sinn Zeitspuren, in den Ritzbildern erfahren die Spuren direkte, unmittelbare Konkretion. Wäre nicht die Feder das Handwerkszeug, so könnte auch der Nagel selbst zum Ritzen dienen.
Das Verfahren bleibt das Gleiche, Schicht um Schicht der Farbauftrag, die Feder kratzt, doch entbehren die Ritzbilder jeder Figürlichkeit. Von Farbspektrum lässt sich kaum reden. Zwischen Schwarz, Grau und Weiß finden sich viele Abstufungen, und wie in den Nagelbildern erregt auch hier helles, leuchtendes, schreiendes Rot als Farbelement Aufmerksamkeit und gewichtet, setzt einen Akzent. Die Kratzspuren der Feder sind fahrig, liederlich, zugleich energetisch hoch aufgeladen. Verdichtungen führen an manchen Stellen zur gewollten Beschädigung der Platte, Löcher entstehen, Beharrlichkeit im Kratzen bis zur mutwilligen Zerstörung von Platte und Feder. Der Verschleiß manifestiert sich in eigenen Feder-Assemblagen. Die Feder wird fast zweckentfremdet. Zum Schreiben, eine Urassoziation zur Feder, verwendet Shaqiri die Feder kaum. Statt runder Schreibbögen liegt die Betonung vielmehr auf den senkrechten und waagerechten Linien, oft ist eine spannende Unterteilung in Flächen verschiedenen Ausmaßes die Folge. Punktuell sucht Shaqiri den Kontrast. Dann steht Schwarz auf Weiß, und auch die Ritzbilder leben von der Schichtung, dem Aufeinander und Untendrunter.
Shaqiris Schaffen ist insgesamt jedoch erheblich vielfältiger. Davon zeugen zum Beispiel Bilder mit markant eckigen Gesichter oder zarten Landschaften. Vorbilder in künstlerischer Hinsicht, so sagt Shaqiri von sich, habe er keine. Die Geschlossenheit dieser beiden Werkgruppen liegt im Arbeitsumfeld begründet. Die gesicherten Lebensbedingungen in Deutschland erfüllen Ymer Shaqiri mit Dankbarkeit.
Dr. Susanne Ramm-Weber